Filmbildende Amine: Dosierung bei flexiblen Anlagenbetrieb
- Björn Otto
- 7. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Zusammenfassung
Mit der steigenden Nachfrage nach flexiblen Erzeugungskapazitäten werden schwankende Betriebsbedingungen zur Regel. Filmbildende Amine (FFAs) sind für diesen Wandel bestens geeignet, da sie sowohl während des Betriebs als auch bei unvorhersehbaren Stillständen Schutz bieten. Dieser Artikel untersucht den Einsatz von FFAs unter schwankenden Lastanforderungen und konzentriert sich dabei auf kontinuierliche Dosierstrategien, die Auswirkungen auf die Kraftwerkschemie sowie bewährte Verfahren zur Sicherstellung der Anlagenzuverlässigkeit. Unterstützt durch Fallstudien aus Kombikraftwerken und Biomasseanlagen bietet dieser Beitrag praxisnahe Einblicke für Kraftwerkschemiker und Betreiber, die flexible Betriebsregime managen.
Einleitung
Mit zunehmender Flexibilisierung und Dezentralisierung der Stromerzeugung sehen sich viele Anlagen häufigen Start-Stopp-Vorgängen, Teillastbetrieb und unvorhersehbaren Stillständen ausgesetzt. Herkömmliche Konservierungstechniken versagen häufig unter solchen Bedingungen. Filmbildende Amine bieten hier einen entscheidenden Vorteil: Durch die Bildung einer monomolekularen Schutzschicht ermöglichen sie einen durchgehenden Korrosionsschutz – sowohl im Betrieb als auch im Stillstand. Dieser Artikel analysiert die Rolle von FFAs im zyklischen Betrieb und betrachtet kontinuierliche Dosierstrategien, Einspeisepunkte und Überwachungsmethoden.
Herausforderungen im flexiblen Betrieb
Kraftwerke im flexiblen Betrieb sind verschiedenen Belastungen ausgesetzt: schwankende Last, kurze Anfahrzeiten und erhöhtes Korrosionsrisiko während Stillständen. Besonders kritisch sind Phasengrenzen, etwa an Turbinenschaufeln, die häufigen Nass-Trocken-Wechseln unterliegen. Diese Bedingungen fördern lokale Korrosion und Erosion, insbesondere bei sich verschiebenden Kondensationszonen infolge von Lastwechseln.
Zudem begünstigen Stillstände unter stagnierenden Bedingungen die Korrosion und lösen Korrosionsprodukte, die beim Wiederanfahren transportiert werden. Das führt zu einer erhöhten Eisenkonzentration, welche zu Verblockungen in Filtern und verstärktem Verschleiß an Pumpen führt. Konventionelle Konservierungsmethoden – wie Stickstoffauflastung oder Konservierung mit Trockenluft – sind im täglichen oder wöchentlichen Fahrplan schwer praktikabel. Es braucht daher eine dynamischere und integrierte Lösung.

Kontinuierliche Dosierung von FFA
Ein entscheidender Vorteil von FFAs ist die Möglichkeit zur kontinuierlichen Dosierung in niedriger Konzentration. Anstatt zwischen Betrieb und Konservierung umzuschalten, können Betreiber einen stabilen Basisschutz aufrechterhalten. Die Moleküle lagern sich an Metalloberflächen an und bilden eine Schutzschicht zusätzlich zur Magnetitschicht.Bei der Festlegung der Konzentration ist die Betriebszeit im Vergleich zur Stillstandszeit entscheidend. Anlagen mit längeren Stillständen – etwa saisonale Biomasseanlagen – profitieren von sehr niedrigen Konzentrationen. In häufig zyklisch betriebenen Anlagen mit ist meist eine etwas höhere Konzentration erforderlich. Entscheidend ist die Beständigkeit: Die Schutzschicht bildet sich am effektivsten unter stabilen chemischen Bedingungen.Regelmäßige Analysen der FFA Konzentration im Kondensat oder Speisewasser sind erforderlich, um die Wirksamkeit der Dosierung zu kontrollieren. Anpassungen sollten auf Basis der Metallurgie und Betriebstemperatur erfolgen.
Dosierpunkte: Praktische Überlegungen
Für eine vollständige Verteilung der FFAs müssen Einspeisepunkte sorgfältig gewählt werden. Ein bewährter Ort ist der Speisewassertank bzw. der Entgaser, der eine gute Durchmischung ermöglicht. Alternativ kann in die Kondensatleitung vor den Niederdruckvorwärmern dosiert werden. Dies schützt gezielt Rohrleitungen und Wärmetauscher, die anfällig für Lufteintrag und Strömungsstörungen sind.In Anlagen mit luftgekühlten Kondensatoren (ACC) empfiehlt sich eine zusätzliche Dosierung vor dem ACC. Diese Komponenten sind während Stillständen besonders korrosionsanfällig. Eine gezielte Dosierung schützt die großflächigen Oberflächen, welche meist aus Normalstahl bestehen, effektiv.Die Auswahl geeigneter Einspeisepunkte erfordert eine systematische Bewertung des Anlagenlayouts, der Strömungsführung, Temperaturzonen und vorhandenen Materialien. Bei Mehrfach-Dosierpunkten ist auf eine gleichmäßige Verteilung zu achten.
Überwachung und Systemreaktion
Die Einführung von FFAs in Anlagen mit bestehenden Oxidschichten ist analytisch zu überwachen. Die Ablösung lose gebundener Korrosionsprodukte kann zu erhöhtem Eisenanfall oder Schwankungen der Kationenleitfähigkeit führen. Dieses Verhalten ist Teil der Konditionierungsphase und stabilisiert sich meist nach wenigen Tagen.Echtzeitüberwachung durch Online-Analysatoren ermöglicht eine präzise Erfassung der FFA-Konzentration und Anpassung der Dosierung. Besonders bei Lastwechseln sind diese Geräte den manuellen Proben voraus. Dennoch bleibt die Laborkontrolle unverzichtbar. Während der Einführungsphase werden tägliche manuelle Analysen empfohlen.Zudem müssen FFA-bedingte Effekte von anderen Quellen abgegrenzt werden. FFAs können bei Temperaturen > 400 °C umgewandelt werden, dabei CO₂ freisetzen und damit temporär die Säureleitfähigkeit erhöhen. In solchen Fällen hilft die entgaste Säureleitfähigkeitsmessung (D-CACE), zwischen flüchtigen und salzbasierten Einträgen zu unterscheiden.
Einfluss auf Kondensatreinigungsanlagen (KRA)
Bei Einsatz von Mischbettfiltern ist die Interaktion mit FFAs sorgfältig zu prüfen. FFAs können sich ungleichmäßig im Harzbett verteilen und die Austauschdynamik stören. In einigen Fällen wurde ein Aufschwimmen der Harze durch Beladung mit FFAs beobachtet.Abhilfe schaffen erhöhte Betriebstemperaturen, die die Kinetik verbessern, sowie warme oder heiße Regenerationszyklen. Alkalische Rückspülungen können ebenfalls helfen, sofern die chemische Verträglichkeit des Harzes gewährleistet ist.Vor dauerhafter Einführung empfiehlt sich ein Kompatibilitätstest – etwa durch Pilotversuche oder Harzanalyse nach Kurzzeitexposition. Alternativ kann eine Umgehung der KRA während bestimmter Phasen erfolgen.
Zersetzung und thermische Effekte
Bei normalen Betriebstemperaturen sind FFAs stabil. Ab etwa 400 °C beginnt jedoch die thermische Zersetzung, wobei Gase wie CO₂ und CH₄ entstehen, die Analyse- und Leitfähigkeitswerte beeinflussen können.Die Zersetzung hängt stark von der Formulierung ab. Einige Produkte, vor allem Gemische, bauen sich schneller ab und bilden organische Säuren, die das Wasserdampf-Gleichgewicht stören. Betreiber sollten vor und nach der Einführung Basismessungen von CACE und TOC durchführen.Mit D-CACE ausgestattete Anlagen können besser zwischen Zersetzungs- und Kontaminationseffekten unterscheiden – ein wichtiger Schritt für präzise Dosierung und analytische Sicherheit.
Fallstudien
GuD-Kraftwerk (Deutschland)
Ein Kombikraftwerk hatte regelmäßig mit hohem Eisenanfall bei täglichen Starts zu kämpfen. Dies führte zu verstopften Kondensatfiltern und Startverzögerungen. Nach Einführung einer kontinuierlichen FFA-Dosierung hinter der Kondensatpumpe sanken die Eisenwerte innerhalb von drei Wochen um über 70 %. Der Betrieb berichtete von schnelleren Starts sowie den Wegfall zeitintensiver Trockenkonservierungsmaßnahmen.
Biomasseanlage (Schweden)
Eine saisonal betriebene Biomasseanlage hatte Schwierigkeiten, Speisewassertank und Turbinenleitungen bei längeren Stillständen zu schützen. Mit einer konstanten FFA-Konzentration von 0,3 ppm über die Heizperiode wurden deutliche Verbesserungen erreicht: Oxidrote Beläge wurden in graue Magnetitschichten umgewandelt, welche einen hydrophoben Charakter aufweisen, und die Turbinenschaufeln zeigten deutlich weniger Beläge und Korrosion.
Fazit
Der Wandel hin zu flexiblem Betrieb erfordert neue Lösungen in der Kraftwerkschemie. Filmbildende Amine bieten mit ihrer kontinuierlichen, niedrigen Dosierung eine wirksame Möglichkeit, aktive wie ruhende Anlagenteile gleichermaßen zu schützen.Für eine erfolgreiche Anwendung braucht es jedoch mehr als die Produktauswahl: Einspeisezeitpunkt, Ort, Anlagenverhalten und analytische Rückkopplung müssen abgestimmt sein. Mit der richtigen Strategie lassen sich die Chemie stabilisieren, Verschleiß reduzieren und klassische Konservierungsmaßnahmen vereinfachen.Wie die Praxisbeispiele zeigen, ist diese Methode längst keine Theorie mehr. Filmbildende Amine entwickeln sich zu einem zentralen Baustein moderner Wasser-Dampf-Behandlung.
Autor
Ronny Wagner ist Geschäftsführer der REICON Wärmetechnik und Wasserchemie Leipzig GmbH. Als erfahrener Experte für Wasserbehandlung ist er auf den Einsatz filmbildender Amine in Wasser-Dampf-Kreisläufen sowie in geschlossenen Kühl- und Heizsystemen spezialisiert. Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Erhaltung von Kernkraft-, fossilen und Industrieanlagen hat er entscheidend zur Weiterentwicklung anerkannter Branchenstandards beigetragen. Als aktives Mitglied von vgbe und der IAPWS Power Cycle Chemistry (PCC) Gruppe war er an der Ausarbeitung internationaler Leitlinien für den sicheren und effektiven Einsatz filmbildender Amine in der Kraftwerkschemie beteiligt.