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Filmbildende Amine: Anwendung in Fernwärmenetzen

  • Autorenbild: Björn Otto
    Björn Otto
  • 8. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Zusammenfassung

Fernwärmenetze stehen häufig vor Korrosionsproblemen – verursacht durch Sauerstoffeintrag, einen Materialmix und die begrenzte Kontrolle der Wasserqualität. Herkömmliche Behandlungsmethoden wie der Einsatz von Sauerstoffbindern oder Alkalisierungsmitteln erhöhen oft die Leitfähigkeit, bieten aber unter dynamischen Bedingungen nur begrenzten Schutz. Filmbildende Amine (FFAs) sind eine moderne, effiziente Alternative: Sie schützen gezielt Oberflächen – ohne den Salzgehalt zu erhöhen. Dieser Beitrag beleuchtet die Grundlagen der FFA-Anwendung in Fernwärmenetzen und fokussiert sich auf Betriebsrichtlinien, Korrosionsschutz, Effizienz und Langzeitstabilität. Praxisbeispiele aus kommunalen und industriellen Anlagen zeigen, wie filmbildende Amine Korrosionsraten senken, den hydraulischen Durchfluss verbessern und eine nachhaltige, wartungsarme Fahrweise ermöglichen. Einleitung In Fernwärmesystemen und industriellen Wärmekreisläufen ist die Wasserqualität entscheidend, um Korrosion, Ablagerungen und Effizienzverluste zu vermeiden. Probleme wie Sauerstoffeintrag, wechselnde Lasten und verschiedene Metalle im System führen zu komplexen Korrosionsmechanismen. Richtlinien wie die VDI 2035 schaffen Rahmenbedingungen, aber moderne Systeme verlangen mehr als nur pH-Kontrolle und Entsalzung. Filmbildende Amine bieten hier eine innovative Lösung: Sie ermöglichen eine passive, langanhaltende Schutzwirkung durch die Bildung hydrophober Schichten auf den metallischen Oberflächen.


Dieser Artikel knüpft an die Grundlagen früherer ODACON Insights Ausgaben an und überträgt die Prinzipien der Filmbildung und analytischen Kontrolle auf die Bedingungen in Fernwärmenetzen. Korrosionsrisiken in Heizsystemen Sauerstoff ist einer der Hauptauslöser für Korrosion – er gelangt beim Befüllen ins System, über Leckagen oder durch unzureichend entgastes Zusatzwasser. Einmal eingedrungen, führt er zu elektrochemischen Reaktionen wie Lochfraß.


Stagnation verschärft das Problem: In wenig oder gar nicht durchströmten Bereichen – vor allem während saisonaler Stillstände – sammeln sich Sauerstoff und Korrosionsprodukte an.Hinzu kommt die Verwendung verschiedener Metalle: Kupfer in Wärmetauschern und Stahl in Leitungen fördern galvanische Korrosion. Auch Pumpen sind durch Strömungsabrieb und Kavitation anfällig – Metalloxide gelangen so in den Kreislauf.


Herkömmliche Maßnahmen wie die Enthärtung oder Entsalzung reichen hier oft nicht aus. Filmbildende Amine bieten einen gezielten, passiven Schutz: Sie lagern sich an Metalloberflächen an und bilden einen hydrophoben Film – ein physikalischer Schutz gegen Sauerstoff. Besonders effektiv ist dies bei unregelmäßigem Durchfluss oder längeren Stillständen.


Betriebschemie und Standards Die chemische Fahrweise in Fernwärmenetzen folgt meist zwei Betriebsarten nach VDI 2035:

  • Salzarmer Betrieb (< 100 µS/cm): mit VE-Wasser

  • Salzhaltiger Betrieb (bis 1500 µS/cm): mit enthärtetem Wasser


    Tabelle mit Grenzwerten der VDI 2035 für Heizungswasser in Abhängigkeit von Heizleistung und spezifischem Systemvolumen, inklusive Härtegrenzen in mol/m³ und °dH.

In beiden Fällen sind pH- und Sauerstoffkontrolle entscheidend. Filmbildende Amine unterstützen beide Betriebsarten – ohne die Leitfähigkeit zu beeinflussen. Sie sind mit verschiedenen Wasserqualitäten kompatibel, greifen keine empfindlichen Bauteile an und beeinträchtigen keine Grenzwerte. 


In Systemen mit Aluminiumkomponenten (z. B. Wärmetauscher, Heizkörper) muss der pH-Wert zwischen 8,2 und 9,0 gehalten werden. Filmbildende Amine ermöglichen auch in diesem engen Bereich einen effektiven Korrosionsschutz  – ohne zusätzliche pH-Anpassung.


Tabelle mit VDI 2035 Richtwerten für Heizungswasser: Leitfähigkeit, pH-Wert und Aussehen – differenziert nach Salzgehalt und Aluminiumwerkstoffen.

Wirkmechanismus Filmbildende Amine bestehen aus amphiphilen Molekülen, die sich im Wasser verteilen und an Metalloberflächen anlagern. Dort bilden sie eine kompakte, monomolekulare Schutzschicht – eine physikalische und chemische Barriere. 


Diese Schicht:

  • hemmt den Sauerstoffeintrag

  • gleicht Potentialunterschiede zwischen Metallen aus

  • verhindert poröse Oxidschichten


Selbst nach Teilentleerung oder Temperaturschwankungen bleibt der Schutzfilm erhalten. Besonders in saisonal stillgelegten Netzen ein entscheidender Vorteil.


Verbesserung der Systemleistung Filmbildende Amine wirken nicht nur korrosionshemmend – sie verbessern auch den Durchfluss: Glatte Rohrinnenflächen reduzieren den Strömungswiderstand und senken die Pumpenleistung.Zudem erhöht sich die Wärmeleitfähigkeit, da weniger isolierende Ablagerungen auf Wärmetauschern entstehen. Das Ergebnis: effizientere Wärmeübertragung, bessere Regelbarkeit und geringerer Wartungsaufwand.Mikroskopische Untersuchungen zeigen: Rauhe Magnetitschichten verwandeln sich innerhalb weniger Wochen in kompakte, gleichmäßige Filme. Filter bleiben sauberer, Wartungsintervalle verlängern sich, Bauteile leben länger.


Dosierung und Anwendung Die erfolgreiche Anwendung beginnt mit einer gezielten Dosierstrategie. Die Erstbehandlung erfolgt über eine Dosierpumpe in der Hauptumwälzleitung – Zielkonzentration: 0,1–0,3 mg/l.Während der Anlaufphase (4–6 Wochen) empfiehlt sich eine intermittierende Dosierung, um den Film langsam aufzubauen. Wöchentliche Konzentrationsmessungen sichern die Anwendung ab. Danach reicht meist eine vierteljährliche Kontrolle.Fällt der Wert unter 0,1 mg/l, erfolgt eine Nachdosierung.In älteren Netzen mit vorhandenen Ablagerungen sollte die Einführung langsam erfolgen – um lose Partikel nicht zu mobilisieren und Filter nicht zu belasten.

Empfehlungen zur Umsetzung Filmbildende Amine sollten in den Hauptkreislauf, nicht ins Zusatzwasser dosiert werden – so wird eine schnelle Verteilung erreicht. Automatisierte Dosiersysteme (z. B. zeitgesteuerte Pumpen) sichern konstante Konzentrationen und entlasten das Personal. Vor Beginn empfiehlt sich eine Wasseranalyse, um den Zustand des Systems zu beurteilen und das Behandlungskonzept anzupassen. Optional unterstützen Teilstromfiltration und Enthärtung die Anwendung für eine ganzheitliche Optimierung der Wasserparameter.


Grafik mit sechs Dosierempfehlungen für filmbildende Amine in Heizkreisläufen – inklusive Injektionsort, Konzentrationsbereich, Dosierintervallen und Nachdosierung.

Praxisbeispiele Fernwärmenetz (Deutschland) Ein kommunales Netz in Leipzig stellte von klassischer Chemie auf Filmbildende Amine um. Die Eisenwerte lagen zuvor bei 600–1500 µg/l. Wenige Wochen nach Beginn der Dosierung: < 40 µg/l. Das Ergebnis: klareres Wasser, weniger Wartung und keine Durchflussstörungen bei Spitzenlast.


Grafische Darstellung der Eisenkonzentration im Heiznetz Leipzig: Vergleich zwischen klassischer Laugenbehandlung und ODACON. Deutlicher Rückgang der Eisenwerte nach ODACON-Einführung.

🇬🇧 English:

Industrielles Heizsystem (Neuseeland)

Ein industrieller Heizkreislauf wies Korrosionsraten von 8,6 mils/Jahr auf. Nach 3 Monaten mit filmbildenden Aminen sanken diese auf 0,5 mils – nach 6 Monaten auf nur noch 0,1 mils. Zusätzlich wurde die Wasserqualität besser und die Hydraulik reagierte spürbar schneller.


Fazit

Filmbildende Amine bieten eine praxisnahe, effektive Methode zum Schutz von Fernwärmenetzen vor Korrosion und Wirkungsgradverlusten. Durch ihre Fähigkeit, beständige hydrophobe Filme zu bilden, ermöglichen sie einen langfristigen Betrieb – ohne Störung der Wasserchemie.In Kombination mit einer einfachen Dosierung und minimalem Wartungsaufwand bieten sie eine nachhaltige Alternative zu klassischen Verfahren – für kommunale wie industrielle Netze gleichermaßen.


Autor

Ronny Wagner ist Geschäftsführer der REICON Wärmetechnik und Wasserchemie Leipzig GmbH. Als erfahrener Experte für Wasserbehandlung ist er auf den Einsatz filmbildender Amine in Wasser-Dampf-Kreisläufen sowie in geschlossenen Kühl- und Heizsystemen spezialisiert. Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Erhaltung von Kernkraft-, fossilen und Industrieanlagen hat er entscheidend zur Weiterentwicklung anerkannter Branchenstandards beigetragen. Als aktives Mitglied von vgbe und der IAPWS Power Cycle Chemistry (PCC) Gruppe war er an der Ausarbeitung internationaler Leitlinien für den sicheren und effektiven Einsatz filmbildender Amine in der Kraftwerkschemie beteiligt.

 
 
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